Ein Projekteindruck

Wenn man an Brasilien denkt, fallen einem drei Sachen ein: Sonne, Samba und die Armut.
Doch schon gleich am Flughafen haben wir etwas Neues kennengelernt: die allzu bekannte brasilianische Unpünktlichkeit. Und ich weiß nicht wie oft ich den folgenden Satz in den nächsten Wochen gehört habe: ,,Mensch, wir sind in Brasilien, das entschuldigt alles!"
Mein erster Eindruck von São Paulo: riesengroß, beeindruckend, faszinierend, aber, wenn man das Ländliche gewöhnt ist, unglaublich häßlich.

Den ersten Tag verbrachten wir im Bus und auf dem Boot, bis wir endlich, nach langer, langer Anreise, das Fischerdorf Maruja erreicht haften. Doch der Wettergott wollte uns wohl schon alle einmal auf die Probe stellen und ließ es eine Woche lang fast ohne Unterbrechung regnen. Obwohl der Himmel grau war, unsere Klamotten feucht und klamm und unsere Erinnerungen an die Sonne fast verblaßten, war die Stimmung super. Unsere - regenbedingt - freien Tage verbrachten wir mit Ave verum corpus"-üben (danke, Johanna, für deine Ausdauer!) und sonstigen Sachen. Als ,,Nicht- Waldi" und als Neuling in der ,,Steinschleuder' empfand ich die Morgen- und Abendkreise als ungewohnt aber nicht negativ. Es war schön, daß die Gruppenmitglieder, die getrennt in den Familien aßen und auch in der Freizeit recht gut verstreut waren, sich wenigstens zu diesen beiden Zeiten zusammengefunden haben. Obwohl die Gruppe diesmal nur aus 13 Jugendlichen bestand, kann ich mit Überzeugung sagen, daß es sich gut bewährt hat, nur eine Gruppe zu bilden. Die Stimmung unter den Leuten war durchweg gut, und ich bin sicher, daß man sich selten so über einen helleren oder sogar blauen Fleck am Himmel gefreut hat wie wir nach der ersten Woche in Maruja.Als wir dann das erste Mal mit Arbeitskleidung (ich habe sie nie mehr so sauber gesehen) und dem Boot zur Quelle führen, waren schon Spannung, aber auch Unsicherheiten darüber dabei, was uns wohl im Urwald erwarten würde. Und es kostete schon Überwindung, barfuß durch teilweise knie- oder hüfttiefen Mangrovenschlamm zur Quelle zu laufen, doch mit Aufschreien und Ausrufen des inneren (Wohl?)-befindens ging es doch recht gut Nur manch einer hat sich durch zu große Eile eines Ganzkörperschlammbades erfreuen dürfen - und wenn jemand weiß, wie Methangas riecht, kann er sich gut vorstellen, wie sich der Rest der Gruppe über diesen belustigt hat. Gegen alle Erwartungen bekamen wir die üblichen Urwaldbewohner, wie Vogelspinnen oder Schlangen, nicht zu Gesicht.

Nach einer langen Schlechtwetterphase kam nun endlich schönes Wetter, und die Insel zeigte sich von ihrer schönsten Seite. Spätestens dann wollte keiner mehr so richtig in den Großstadtmief São Paulos zurückkehren, obwohl auch die Arbeit in der Boa Vista viele neue Erfahrungen und Erlebnisse versprach. Ein schönes Erlebnis auf der Insel war auf alle Fälle noch das Fischfest, auf dem viele von uns fleißig Samba getanzt haben und so manches Mädchen umsonst versucht hat den Tanzaufforderungen dickbäuchiger Hawaiihemdtypen aus dem Weg zu gehen. Und zum anderen war da der erste Sonnenaufgang zu sehen, den wir fast alle am Strand erwarteten.Nachdem wir anderthalb Wochen neue Eindrücke und Erfahrungen gesammelt haften, ging es zurück nach São Paulo, doch zuvor machten wir noch eine Nacht das Städtchen Cananeia unsicher. Diese vertrugen zwei aus unserer Gruppe nicht so gut, denn kaum saßen wir in der Waldorfschule auf dem Schulhof ging es ans Haareschneiden. Seit diesem Moment schaute Scotti alias Johanna 5. wohl doch immer etwas mißtrauisch auf das Weiler, spürte sie doch nun jedes kühle Lüftchen am Nacken. Aber auch eine gelungene Kurzhaarfrisur hat ihre gute Seite: So konnte sie wenigstens bei dem nächtlichen Klogang, Gott sei Dank, noch schnell genug vor den bissigen Wachhunden fliehen, die unvorhergesehenerweise schon auf dem Gelände waren. Seitdem sind wir damit etwas vorsichtiger umgegangen.
Wir waren außerhalb der Arbeitstage, die immer recht gut verliefen, noch ein paarmal in der Stadt, und dort verstärkten sich noch mal die Eindrücke, wie groß und dreckig diese eigentlich ist.
In den ganzen drei Wochen in der Favela haben wir uns immer gut durchgegessen. Wir wurden auch oft eingeladen und haben anschließend Samba getanzt. Das für die Finanzierung unseres Essens organisierte Fest war vor allem für die vielen, vielen Kinder ein tolles Erlebnis, und auch das Fest am Ende unserer Reise und der Arbeit dort, machte den Abschied nicht leichter, nein, sondern verstärkte vielmehr den Wunsch, nächstes Jahr noch einmal in die Boa Vista zurückzufahren und das Projekt zu beenden.

Sina Kassel, 17 Jahre